Titelbild zur IR-Spektroskopie Die Infrarotspektroskopie (kurz IR-Spektroskopie) ist ein wichtiges Werkzeug, um verschiedenste Größen von Molekülen zu ermitteln. Die gängigste Anwendung findet sie aber in der organischen Chemie, bei welcher mittels IR-Spektroskopie funktionelle Gruppen nachgewiesen werden. Wie die IR-Spektroskopie funktioniert und wie man IR-Spektren auswertet, erfährst Du in diesem Artikel.

Grundprinzip

Um das Prinzip der IR-Spektroskopie zu verstehen, gucken wir uns als Beispiel das Molekül HCl an. Chlorwasserstoff Molekül Moleküle sind in der Regel in konstanter Bewegung: Sie bewegen sich durch den Raum (Translation), drehen sich (Rotation) oder schwingen (Vibration). Um letzteres geht es nun: Die beiden Atome des HCl-Moleküls schwingen hin und her. Die kovalente Bindung zwischen den Atomen kannst Du dir also wie eine Feder vorstellen, welche das oszillierende Molekül zusammenhält. Chlorwasserstoff Molekül Oszillierend Wie genau sich diese Schwingung berechnen lässt, klären wir nicht in diesem Artikel. Hierfür benötigt man das Modell des harmonischen oder anharmonischen Oszillators. Wir wollen uns nur auf die wichtigsten Prinzipien konzentrieren, damit wir die IR-Spektroskopie verstehen können:
  • Moleküle können unterschiedlich schnell schwingen, abhängig davon, wie viel Energie ihnen zur Verfügung steht.
  • Die Schwingungsniveaus sind hierbei diskret (gequantelt): Damit ein Molekül schneller schwingt, muss es ein höheres Energieniveau erreichen. Morse-Potential mit Energieniveaus
  • Jedes Schwingungsniveau besitzt eine Eigenfrequenz – das ist die Frequenz, mit welcher es von allein schwingt.
  • Licht wird genau dann absorbiert, wenn die Frequenz des Photons mit der Eigenfrequenz der Schwingung übereinstimmt (Resonanzfrequenz).
Wie kann ich mir die Anregung vorstellen?
Dieses Phänomen ist vergleichbar damit, wie wenn man eine Person auf einem Trampolin hochkatapultiert: Die Person hüpft hoch und runter (Eigenfrequenz) und wenn man selbst nun genau dann auf das Trampolin hüpft, wenn die andere Person auch nach unten geht, so verstärkt sich die Auslenkung des Trampolins und die andere Person wird noch stärker nach oben beschleunigt.

Das bedeutet für uns jetzt konkret:
Wenn Licht mit geeigneter Wellenlänge auf das Molekül trifft, so wird es absorbiert. Die Energie wird zum Übergang in ein höheres Schwingungsniveau genutzt, was bedeutet, dass das Molekül zum stärkeren Schwingen angeregt wird.
Welche Wellenlänge bzw. Frequenz das Licht nun besitzen muss, hängt somit vor allem von der Eigenfrequenz der Schwingung ab, die wir anregen wollen. Die Eigenfrequenz ist wiederum abhängig davon, wie schwer die Atome sind, welche an der Schwingung beteiligt sind; und davon, wie stark die Bindung ist. Hierbei gilt:
Je stärker die Bindung, und je leichter die Atome, desto höher die Eigenfrequenz
Das heißt, man benötigt wesentlich mehr Energie (= kurzwelligeres Licht) um eine C-C-Bindung anzuregen (leichter, stärkere Bindung), als um eine I-I-Bindung (schwerere Atome, schwächere Bindung) anzuregen.

Und genau diesen Zusammenhang nutzen wir in der IR-Spektroskopie aus: Jede Bindung hat eine charakteristische Frequenz, bei welcher sie zum Schwingen angeregt wird. Das erlaubt uns funktionelle Gruppen in einem Molekül nachzuweisen.
Wenn wir bspw. einen Stoff hergestellt haben, welche über eine Carbonyl-Gruppe verfügt, dann können wir dies nachweisen, indem wir ein IR-Spektrum von dem Molekül aufnehmen und schauen, ob das Licht mit der passenden Frequenz absorbiert wurde.

Messprinzip & Versuchsaufbau

Eine IR-spektroskopische Messung funktioniert ähnlich wie bei der UV/Vis-Spektroskopie. Aufbau eines einfachen IR-Spektrometers Wie bestrahlen unsere Probe mit Licht von bekannter Intensität `I` und messen, wie hoch die Intensität des Lichts am Detektor ist. Die Wellenlänge des Lichts liegt im Infrarotbereich (daher der Name), und es wird bei ganz einfachen IR-Spektrometern eine Wellenlänge nach der anderen gemessen, bis wir ein vollständiges Spektrum erhalten. Moderne IR-Spektrometer funktionieren etwas anders (FT-IR), aber das soll uns erstmal nicht beschäftigen.
Ein typisches IR-Spektrum sieht so aus: Schematisches IR-Spektrum Auf der x-Achse steht die Wellenzahl `\bar\nu`. Sie ist das inverse der Wellenlänge und deshalb in der Einheit cm-1 angegeben:
`\bar\nu=\frac{1}{\lambda}`
Die Wellenzahl hat den Vorteil, dass sie proportional zur Energie des Lichts ist (wohingegen man bei der Wellenlänge immer umdenken muss: hohe Wellenlänge = niedrige Energie). Die Wellenzahl entspricht also einfach Licht mit einer bestimmten Energie/ Frequenz/ Wellenlänge.

Auf der y-Achse ist die Transmission `T` aufgetragen. Hier gilt: Je höher die Transmission, desto weniger hat das Licht mit der Probe interagiert (die Intensität des eingestrahlten Lichts ist fast genau so hoch wie das Licht, das aus der Probe wieder austritt und auf den Detektor trifft). Uns interessieren also die Signale mit niedriger Transmission. Eine Schwingung wurde immer dann angeregt, wenn der Graph nach unten ausschlägt:

Diese Signale helfen uns nun funktionelle Gruppen zu identifizieren in unserer Verbindung. Das Signal bei 1700 cm-1 ist bspw. charakteristisch für die C=O-Streckschwingung der Carbonylgruppe.

Wichtige Schwingungen

Wir werden uns im Folgenden nur die wichtigsten Schwingungen anschauen, welche uns regelmäßig bei IR-Spektren begegnen werden. Es gibt noch weitaus mehr Schwingungen; für solche empfehle ich aber ein Nachschlagewerk zur Hand zu haben.
Es folgt eine Übersicht über die wichtigsten Schwingungen mit dazugehöriger Erklärung: Übersicht über die wichtigsten IR-Schwingungen

C-H-Streckschwingungen & 3000er Regel

IR-Schwingungen von Alkanen, Alkenen und Alkinen Fast immer werden im IR-Spektrum C-H-Streckschwingungen zu sehen sein. Hierbei gilt, dass sich bei 3000 cm-1 eine imaginäre Grenze ziehen lässt (3000er-Regel):
  • Alkane (C(sp3)-H) liegen knapp unter 3000 cm-1
  • Alkene & Aromaten (C(sp2-H) liegen knapp über 3000 cm-1
  • Alkine (C(sp)-H) liegen ein bisschen weiter über 3000 cm-1

Aromaten

IR-Schwingungen von Aromaten Aromaten lassen sich anhand der C-H-Streckschwingung bei über 3000 cm-1 erkennen und an den sogenannten „Benzolfingern“. Das sind Kombinationsschwingungen, welche so aussehen, als würden Finger aus dem Spektrum ragen.
  • Benzolfinger liegen zwischen 2000-1600 cm-1
Es sollte erwähnt werden, dass Benzolfinger eine schwache Intensität besitzen und man sie deshalb in der Realität oft nicht im Spektrum vorfinden kann. Fehlende Benzolfinger sind somit kein harter Beweis gegen ein aromatisches System.

Carbonyl-Verbindungen

IR-Schwingungen von Aromaten Die mit Abstand wichtigste Bande ist die Carbonylbande. Sie entstammt der C=O-Streckschwingung.
  • Die Carbonylbande liegt mit hoher Intensität bei ~1700 cm-1
Weil sie eine so hohe Intensität besitzt, ist manchmal sogar der Oberton bei 3400 cm-1 sichtbar im IR-Spektrum. Obertöne sind vereinfacht gesagt doppelte Anregungen einer Schwingung (also zwei Quantenzahlen höher beim Schwingungsübergang, anstatt nur eine) und liegen deshalb bei der doppelten Wellenzahl.

Aldehyde

IR-Schwingungen von Aldehyden Aldehyde sorgen neben der Carbonylbande zu zwei weiteren charakteristischen Banden, welche der sogenannten Fermi-Resonanz entstammen. Uns soll hier nicht interessieren, woher sie genau stammt. Es reicht zu wissen, dass die Banden der Fermi-Resonanz aus zwei benachbarten Banden mit ähnlicher Intensität bestehen. Es liegt eine Art „Dublett“ vor.
  • Die Fermi-Resonanz von Aldehyden liegt bei ca. 2850/ 2750 cm-1 und bei 1410/ 1380 cm-1

Alkohole

IR-Schwingungen von Alkoholen Alkohole lassen sich sicher anhand des sogenannten „OH-Bauchs“ identifizieren. Der OH-Bauch liegt bei weit über 3000 cm-1 und ist als sehr breite und intensive Bande identifizierbar. Er entstammt der O-H-Streckschwingung. Die Breite des Signals ist das Resultat der Wasserstoffbrückenbindungen, die der Alkohol ausbilden kann.
  • Der OH-Bauch ist breit & intensiv, und liegt bei ca. 3330 cm-1

Beispielaufgabe Acetophenon

Wir wollen im Folgenden zusammen ein reales IR-Spektrum auswerten. Hierfür gilt es noch ein paar Aspekte zu beachten:
  • IR-Spektroskopie wird nicht benutzt, um die vollständige Struktur einer unbekannten Substanz zu bestimmen – das ist unmöglich. Sie wird nur als Hilfsmittel hinzugezogen, um bestimmte funktionelle Gruppen nachzuweisen und einen bereits vorhandenen Strukturvorschlag zu untermauern.
  • Nicht jede Bande ist relevant! Bei IR-Spektren lässt sich nicht jede Bande klar zuordnen, selbst wenn wir einen Reinstoff vorliegen haben (anders als bei bspw. NMR-Spektroskopie). Wir fokussieren uns somit nur auf die wichtigsten Banden, die wir klar zuordnen können. Vor allem den sogenannten Fingerprint-Bereich, ganz rechts im Spekturm (1400 cm-1-500 cm-1) kann man getrost ignorieren.
Als Beispiel nun das IR-Spektrum von Acetophenon. Strukturformel von Acetophenon NIST Chemistry WebBook (https://webbook.nist.gov/chemistry) ETHANONE, 1-PHENYL- INFRARED SPECTRUM Wavenumber (cm-1) Transmitance 1000 2000 3000 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8
Welche Signale sind zu erwarten, und lassen sich im Spektrum wiederfinden?
Ganz klar sollten wir zuerst mit der Carbonylbande bei 1700 cm-1 beginnen. Diese finden wir im Spektrum als Signal mit der höchsten. Den dazugehörigen Oberton finden wir auch bei 3400 cm-1. Diese beiden Signale entstammen also der Carbonylfunktion unseres Moleküls.
Als nächstes schauen wir, ob wir wiederfinden können, dass wir einen Benzolring vorliegen haben. Wie zu erwarten finden wir die C(sp2)-H-Streckschwingung bei knapp über 3000 cm-1. Die Benzolfinger kann man diesmal sehen: sie liegen bei knapp unter 2000 cm-1.
Bei der Region um 3000 cm-1 finden wir auch Banden knapp unter 3000 cm-1. Diese gehören zur C(sp3)-H-Streckschwingung, welche von der Methyl-Gruppe ausgehen.

Auf einem Blick...


IR-Spektroskopie


  • Mittels IR-Spektroskopie lassen sich funktionelle Gruppen in organischen Molekülen nachweisen
  • Die Moleküle absorbieren Licht im Infrarot-Bereich, um einen angeregten vibronischen Zustand zu erreichen
  • Nicht alle Signale im IR-Spektrum sind wichtig
  • Die wichtigsten Schwingungen entstammen der C-H-Streckschwingung von Alkanen, Alkenen & Alkinen (3000er-Regel) und der C=O-Streckschwingung von Carbonylen (~1700 cm-1)
  • Weitere wichtige funktionelle Gruppen mit prägnanten Signalen sind Aromaten ("Benzolfinger"), Aldehyde (Fermi-Resonanz) und Alkohole ("OH-Bauch")
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Referenzen

1. J.Clayden, N.Greeves, S.Warren, P.Wothers in Organic Chemistry, Vol. 8, Oxford University Press, Oxford, 2008.
2. H. Günzler, H.-U. Gremlich in IR-Spektroskopie, Vol. 4, Wiley-VCH, Weinheim, 2003.

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