Titelbild zur Elektronegativität Wir wissen aus der letzten Lektion, dass Nicht-Metalle untereinander kovalente Bindungen ausbilden. Sie teilen sich ein bindendes Elektronenpaar, damit sie die Oktett-Regel erfüllen können. Was ich aber bisher verschwiegen hab: Es wird nicht immer fair geteilt. Manche Elemente ziehen in einer kovalenten Bindung mehr an dem bindenden Elektronenpaar als andere. Wie „stark“ ein Element an einer Bindung zieht, lässt sich mit Hilfe der Elektro­negativität des Elements beschreiben.

Was ist die Elektronegativität?

Jedes Element hat eine bestimmte Elektro­negativität. Wir schauen uns zur Erklärung mal das Molekül Chlorwasserstoff an. HCl Molekül Zwischen Wasserstoff und Chlor liegt eine kovalente Bindung vor. Chlor ist ein sehr elektro­negatives Element, Wasserstoff dagegen nicht so sehr. Chlor zieht deshalb viel mehr an den Bindungs­elektronen. Um das zu auszudrücken, wird manchmal eine solche Schreibweise verwendet: HCl Molekül mit EN berücksichtigt
Die Elektro­negativität ist also ein (relatives) Maß für die Fähigkeit eines Atoms/ Elements, in einer kovalenten Bindung das bindende Elektronenpaar an sich zu ziehen.
Wie groß die Elektro­negativität eines Elements ist, kannst du am Periodensystem ablesen. Sie steht meistens oben rechts beim Element: PSE Feld Fluor mit Elektronegativität Das ist das Geringste, was Du wissen musst, um die nächsten Abschnitte zu verstehen. Ich empfehle Dir aber, dieses Kapitel noch zu Ende zu lesen.

Trends und Ursachen der Elektronegativität

Schaut man sich die Elektro­negativitäten im Periodensystem an, so stellt man folgende Trends fest: Elektronegativitäts Trends im Periodensystem Die Elektro­negativität (EN) nimmt im Periodensystem von unten nach oben, und von links nach rechts zu. Helium wird aber ausgeklammert, da es keine Verbindungen eingeht, anhand derer die EN bestimmt werden könnte. Fluor ist somit mit einer EN von 3,98 das elektro­negativste Element. Danach folgen Sauerstoff und Chlor.

Um den Trend zu verstehen, schauen wir uns an, woraus die Elektro­negativität resultiert. Es lässt sich sagen, dass ein elektro­negatives Element seine Elektronen (und damit auch Bindungs­elektronen) sehr stark an sich zieht. Der „Zug“ kommt vom positiv geladenen Kern des Elements, welcher die negativ geladenen Elektronen anzieht. Als Fachausdruck wird hier von der effektiven Kernladung gesprochen, welches beeinflusst, wie stark die (Valenz-)Elektronen am Atom gebunden sind. Ein Element hat eine hohe effektive Kernladung (und damit eher eine höhere Elektro­negativität), wenn
  1. Die Kernladung höher ist , sprich, mehr Protonen im Kern vorliegen
  2. Weniger Elektronen die positive Ladung des Kerns abschirmen
Die erste Bedingung lässt sich leicht nachvollziehen: Je mehr Protonen im Kern, desto mehr positive Ladung, desto mehr werden die Elektronen angezogen. Daher resultiert der Trend, dass die Elektro­negativität im PSE von links nach rechts steigt. Denn innerhalb einer Periode nimmt die Anzahl an Protonen im Kern von links nach rechts zu.

Die zweite Bedingung ist der Grund dafür, dass die EN von unten nach oben im PSE zunimmt bzw. von oben nach unten abnimmt. Denn, je mehr innere Schalen es gibt, welche mit Elektronen besetzt sind, desto mehr schirmen sie die positive Ladung des Kerns ab. Die Valenz­elektronen merken also weniger von der Anziehung des Kerns. Abschirmung der inneren Schalen eines Atoms Wenn das Atom aber über weniger Elektronen verfügt, gibt es auch weniger Elektronen, welche die positive Ladung abschirmen. Die effektive Kernladung steigt, wodurch die Valenz­elektronen wieder mehr von der Anziehung des Kerns merken und somit fester am Atom gebunden sind. Höhere effektive Kernladung des Li-Atoms Die EN nimmt also von unten nach oben im PSE zu, da die Atome von unten nach oben kleiner werden & über weniger Elektronen verfügen, weshalb die Kernladung schlechter abgeschirmt wird und die Valenz­elektronen somit fester am Atom gebunden sind.

Manche von Euch haben jetzt aber bestimmt einen Widerspruch erkannt. Wenn die EN mit steigender Elektronenzahl abnimmt, warum nimmt die EN dann innerhalb einer Periode trotzdem zu? Dort kommen doch auch immer mehr Elektronen hinzu?
Die Antwort liegt darin, dass innerhalb einer Periode immer nur eine Schale befüllt wird. Die Elektronen haben also alle denselben Abstand zum Kern. Sie können die positive Ladung nicht gut gegenseitig abschirmen, denn das machen hauptsächlich die inneren (vollbesetzten) Schalen. Die Kernladung steigt aber innerhalb einer Periode immer weiter.

Da also der Kern innerhalb einer Periode immer stärker an den Elektronen zieht, die Valenz­elektronen diese aber nicht voneinander abschirmen können, werden sie mit steigender Ordnungszahl immer stärker vom Kern angezogen. Erst wenn wir die Schale voll besetzt haben und dann zur nächsten Periode kommen, werden die Elektronen weiter vom Kern weg besetzt, sodass die Elektronen aus der Schale davor diese gut vom Kern abschirmen können.

Was bedeutet dies für kovalente Bindungen?

Elektronegative Elemente ziehen ihre Valenzelektronen stark an und in einer kovalenten Bindung ziehen sie dadurch auch mehr am bindenden Elektronenpaar. In welchem Ausmaß dies bei einer Bindung passiert, lässt sich durch die Elektro­negativitäts­differenz ermitteln. HCl Molekül mit Elektronegativitätsdifferenzen Bei HCl liegt mit einer Elektro­negativitäts­differenz von 0,94 eine recht große Differenz vor. Die Elektronen werden stark an das elektronegativere Chlor gezogen, weshalb es partiell negativ geladen ist. Das Wasserstoff-Atom ist hingegen partiell positiv geladen, da die Elektronen zum Chlor hin verschoben werden und dem H nicht vollständig zur Verfügung stehen. Das Ergebnis ist eine polare Bindung. HCl Molekül mit Partialladungen eingezeichnet Die Partialladungen werden mit einem ∂ gekennzeichnet. Es handelt sich aber nicht um „richtige“ (Formal-)Ladungen, wie bei Anionen und Kationen. Es liegt lediglich eine sogenannte vor, was nichts anderes bedeutet, als dass durch die ungleiche Verteilung der Elektronen ein Bindungspartner mehr von den Bindungselektronen hat (negativ polarisiert) als der andere (positiv polarisiert). Wir schauen uns jetzt mal Bromwasserstoff auf dieselbe Weise an. HBr-Molekül mit Polarisierungen Die Elektro­negativitäts­differenz beträgt hier nur 0.76. Es liegt auch eine polare Bindung vor, allerdings weniger polar als bei HCl. Polarisierungen können also unterschiedlich stark sein. Wir gehen die gesamten Richtwerte (!) mal durch:
  1. Wenn die Elektro­negativitäts­differenz 0 beträgt (wie bei Cl2 bspw.), dann liegt eine vollständig kovalente Bindung vor. Die Elektronen werden gleichermaßen geteilt und es liegt keine Polarisierung vor (unpolar kovalent). Bei Differenzen bis 0,5 wird auch noch vereinfacht eine unpolar kovalente Bindung angenommen
  2. • Liegt die Differenz zwischen 0,5 und ca. 1,7, dann liegt eine polar kovalente Bindung vor – die Elektronen werden von dem elektro­negativeren Bindungspartner stark angezogen.
  3. Liegt die Differenz über 1,7, so wird von einer ionischen Bindung ausgegangen – die Elektronen werden von einem Partner so stark angezogen, dass sie (nahezu) vollständig zum elektro­negativeren Element übergehen.
Jetzt verstehen wir auch, warum Metalle und Nicht-Metalle Salze bilden: Die Elektronegativitätsdifferenz ist so hoch, dass das elektro­negativere Nicht-Metall die Elektronen vollständig aufnimmt und somit keine Partialladung mehr vorliegt, sondern ein echtes Anion. Das weniger elektronegative Metall wiederum liegt dann als Kation vor und es wirkt die ionische Bindung. Bei zwei Nicht-Metallen wird die Elektro­negativitäts­differenz meistens nicht so hoch, sodass vereinfacht gesagt werden kann, dass zwischen ihnen immer eine (polare oder unpolare) kovalente Bindung vorliegt.

Auf einem Blick...


Elektronegativität


  • Jedes Element verfügt über eine bestimmte Elektro­negativität, welche am PSE abgelesen werden kann
  • Die EN hängt von der Kernladung und der Anzahl an (abschirmenden) Elektronen ab
  • Die EN nimmt im PSE von unten nach oben, und von links nach rechts zu. Fluor besitzt somit die höchste EN.
  • Liegt in einer kovalenten Bindung eine EN-Differenz (von über 0,5) vor, so zieht das elektro­negativere Element die Elektronen mehr an sich und wird partiell negativ geladen – es liegt eine polar kovalente Bindung vor
  • Bei einer EN-Differenz von über 1,7 liegt (vereinfacht) eine ionische Bindung vor
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Referenzen

1. E. Riedel, H.-J. Meyer in Allgemeine und anorganische Chemie,

Wenn nicht anders angegeben, sind alle Abbildungen selbst angefertigt.

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Fragen

Prüfe Dich hier selber, ob Du diesen Artikel gut genug verstanden hast. Die Fragen werden zunehmend schwerer, jedoch solltest Du unbedingt ohne Spicken versuchen diese Fragen zu lösen - schaue Dir stattdessen ggf. die Lösungshilfe an.

Stufe 1 Erkläre mit eigenen Worten, was die Elektronegativität ist!
Lösungsvorschlag Die Elektonegativität ist ein Maß dafür, wie stark ein Atom in einer kovalenten Bindung an den Bindungselektronen "zieht". Jedes Atom hat eine zugeordnete Elektronegativität, welche im wesentlichen von der effektiven Kernladung abhängt.
Stufe 2 Iod und Fluor gehen eine kovalente Bindung ein und formen dabei Iodflourid. Zeichne in die Summenformel die partiellen Ladungen ein! Verwende hierfür auch gerne das PSE.
Iodfluorid Molekül
Lösung Fluor besitzt eine EN von 3,98, wohingegen die von Iod bei 2,66 liegt. Folglich liegt eine polar kovalente Bindung vor, bei welcher Fluor partiell negativ geladen ist.
Iodfluoridmolekül mit Partialladungen
Stufe 3 Welche Trends bezüglich der Elektronegativität liegen im PSE vor? Wie lassen sie sich erklären?
Lösungsvorschlag Die EN der Elemente nimmt im Periodensystem von unten nach oben & von links nach rechts zu.
Grund hierfür ist die steigende effektive Kernladung von unten nach oben und von links nach rechts:
  1. Von unten nach oben nimmt die Anzahl an abschirmenden Elektronen/ Schalen ab, wodurch die positive Ladung des Kerns weniger gut abgeschirmt wird
  2. Von links nach rechts nimmt die EN innerhalb einer Periode zu, da die Kernladung immer höher wird, aber keine abschirmenden Schalen dazukommen.