Übersichtsreaktion der Wittig-Reaktion Die Wittig-Reaktion stellt einen der wichtigsten Wege dar, um Carbonyle in Alkene zu überführen. Man spricht auch von einer Olefinierung von Carbonylen. Hierbei handelt es sich im einfachsten Fall um eine Methylenierung, wie oben zu sehen; alternativ kann man durch die neue C-C-Doppelbindung auch weitere Reste einführen. Für die Reaktion wird ein Ylid benötigt, welches auch die Stereochemie des Produkts bestimmt.

Das Ylid[1]

Darstellung von Yliden aus Triphenylphosphan und Methylchlorid Darstellung von Yliden aus Triphenylphosphan und Methylchlorid
Ylide werden durch die Reaktion von Triphenylphosphan mit Methylchlorid (oder dessen Derivate, wenn andere Reste eingeführt werden sollen) dargestellt. Durch Deprotonierung des Substitutionsprodukts mit einer starken Base (hier Buthyl-Lithium) wird der einst elektrophile Kohlenstoff umgepolt – man erhält einen nucleophilen Kohlenstoff, gebunden an einen elektrophilen Phosphor.
Woher stammt der Begriff "Ylid"?
Die besondere Bindungssituation zwischen dem Kohlenstoff und dem Heteroatom geben dem Ylid seinen gewöhnungsbedürftigen Namen. So liegt zum einen eine einfache kovalente Bindung vor (σ-Bindung). Ist ein Rest kovalent gebunden, erhält es das "-yl" Suffix (Methyl, Phenyl, ...). Zum anderen sorgen die beiden Formalladungen für einen ionischen Bindungscharakter. Dies wird durch das Suffix "-id" ausgedrückt, wie bei Natriumchlorid. Somit beschreibt das Wort "Ylid" sowohl den kovalenten, als auch den ionischen Bindungscharakter.

Das cyclische Interdukt wird (meistens) in einem Schritt gebildet[1], [2]

Mechanismus der Wittig-Reaktion mit Oxaphosphetan-Intermediat Mechanismus der Wittig-Reaktion mit Oxaphosphetan-Intermediat
Achtung: Es besteht zwar mittlerweile Konsens über den hier aufgeührten ersten Reaktionsschritt, jedoch nur in Abwesenheit von Li+-Ionen, wovon auch im folgenden der Einfachheit halber ausgegangen wird. In vielen Lehrbüchern wird ein bereits widerlegter Mechanismus gezeigt, welcher über ein Betain-Intermediat verläuft.[2] Prüfe also zuvor, ob dies mit Deinem Lehrbuch im Einklang ist!

Der erste Schritt ist eine [2+2]-Cycloaddition und verläuft somit konzertiert. Es bildet sich ein Oxaphosphetan als Intermediat, welches sich durch eine syn-Eliminierung (oder Retro-Cycloaddition, wenn man so will) stabilisiert – es entsteht das Alken und ein Phosphanoxid-Derivat. Die P=O-Bindung ist sehr stark und eine wichtige Triebkraft dieser Reaktion. Dies ist wichtig, da diese Bindung das Gleichgewicht stark auf Seiten des Produkts dieses Reaktionswegs verschiebt.
Die S=O-Bindung ist beispielsweise nicht so stark, weshalb Schwefel-Ylide Dimethylsulfid(-Derivate) eliminieren, an­stelle von Dimethylsulfoxid, und Oxirane anstelle von Alkenen bilden: Die Reaktion von Schwefel-Yliden mit Carbonylen führt zu Oxiranen, und nicht zu Olefinen

Die Art des Ylids ist maßgebend für die Stereoselektivität[1]

Da es sich bei dem Reaktionsprodukt um ein Alken handelt, unterscheidet man das E- und das Z-Produkt dieser Reaktion. Die Unterscheidung ist in erster Linie von Nöten, wenn das Ylid einen Substituenten am Kohlenstoff trägt; dieser hat dann einen maßgeblichen Einfluss auf die Stereoselektivität. Man unterscheidet bei der Wittig-Reaktion zwei Ylid-Klassen, welche mit beispielhaften Vertretern aufgeführt sind:
Übersicht über die verschiedenen Klassen von Yliden. Aufteilung in stabilisierte, und unstabilisierte Ylide Übersicht über die verschiedenen Klassen von Yliden. Aufteilung in stabilisierte, und unstabilisierte Ylide

Unstabilisierte Ylide bil­den das Z-Produkt[1]

Da Z-Alkene meistens instabiler sind als E-Alkene, muss die Wittig-Reaktion unstabilisierter Ylide unter kinetischer Kontrolle liegen. Hierfür werfen wir einen Blick auf den Übergangszustand der Cycloaddition:
Erklärung für die Z-Selektivität von unstabilisierten Yliden anhand des als orthogonal angenäherten Übergangszustands Im Übergangszustand des ge­schwindigkeitsbestimmenden Schritts nähert sich das Ylid senkrecht an die Carbonyl-Funktion an – hierbei ist jene Annäherung energetisch günstig, in welcher sich der Rest R' des Carbonyls möglichst weit weg von der PPh3-Gruppe und dem Alkyl-Rest R des Ylids befindet. Wenn sich nun die beiden σ-Bindungen ausbilden, dreht sich das Ylid einmal um 90° (in diesem Fall gegen den Uhrzeigersinn): die beiden Reste befinden sich nun auf der selben Seite und stehen folglich nach Eliminierung „Z“ konfiguriert zueinander – das thermodynamisch ungünstigere Produkt wird selektiv gebildet!
Exkurs: Warum nähern sich Ylid und Carbonyl im rechten Winkel aneinander an?
Der rechtwinklige Über­gangs­zustand ist tatsächlich eine Vereinfachung - die Wahrheit liegt zwischen einem recht­winkligen und einem (planaren) Über­gangs­zustand, in welchem die Carbo­nyl-Gruppe und das Ylid parallel übereinander liegen würden:
Tiefergehende Erklärung zur Stereoselektivität der Wittig-Reaktion von unstabilisierten Yliden anhand des verdrehten Übergangszustands Tiefergehende Erklärung zur Stereoselektivität der Wittig-Reaktion von unstabilisierten Yliden anhand des verdrehten Übergangszustands Es handelt sich also eher um eine Art ver­drehten (engl.: puckered) Über­gangs­zustand.
Der Grund liegt in der stark ab­stoß­enden ste­rischen Wechsel­wirkung zwischen der Phenyl-Gruppe des Ylids und des Substi­tuenten R' des Carbonyls. Durch die tetra­edrische Geometrie des Phosphors sind dessen Phenyl-Substituenten so angeordnet, dass ein Rest anti-periplanar zum Substituenten R des Ylids steht, da dies die stabilste Konformation ist. Diese Phenyl-Gruppe schaut hier im Bild nach unten und kommt so in Konflikt mit dem Rest R' des Carbonyls, was einen pla­naren Über­gangsz­ustand ener­getisch stark ungünstig macht. Die verdrehte Anordnung sorgt somit für die mini­malste ste­rische Wechsel­wirkung. Die Bergründung für die Z-Selektivität bleibt dieselbe, wie oben erläutert.

So kann man auch die E-Selektivität von Yliden erklären, welche sterisch weniger an­spruchs­voll sind bezüglich des Phosphors (z.B. bei einer PPh2Me-Gruppe am Ylid).
Da herausgefunden wurde, dass die Cyclo­addition in den meisten Fällen (und im Li+-freien Milieau) irreversibel ist, würde die unten aufgeführte Begründung für die E-Selektivität bei stabi­lisierten Yliden häufig nicht greifen, da sie von einer rever­siblen Cyclo­addition ausgeht. Die Ursache liegt in dem Fall in einer veränderten Geometrie des Phos­phors im Über­gangs­zustand: Bei stabiliserten Yliden wird ein später Über­gangs­zustand postu­liert (vgl. Hammond-Postulat). Dies bedeutet vorallem, dass die Umh­ybdri­disie­rung im Über­gangs­zustand schon weit fortgeschritten ist, wodurch der Phosphor nun eine trigonal bi­pyramidale Struktur besitzt. Dies ermöglicht einen nahezu planaren Über­gangs­zustand, welcher zum E-Alken führt, ohne dass es zur oben genannten sterischen Wechsel­wirkung kommt. Nun ist auch der E-bildende Über­gangs­zustand dem Z-bildenden bevorzugt.[2]
Erklärung der E-Selektivität von stabiliserten Yliden anhand von späten Übergangszuständen An dieser Stelle will ich auf die Review von P. Byrne und G. Gilheany verweisen, auf die ich mich hier beziehe. Es ist zwar sehr lang und zäh geschrieben, besitzt allerdings einen unglaublich hohen Informationsgehalt und bringt endlich Licht ins Dunkle, was der aktuelle Stand der Dinge ist bei der Forschung rund um die Wittig-Reaktion.

Stabilisierte Ylide bilden das E-Produkt[1]

Warum das E-Alken bei stabilisierten Ylide gebildet wird, hängt hier auch wieder vom Ylid selber ab. Man kann aber allgemein zwei häufige Ursachen nennen:

1. Akzeptor-Akzeptor-Repulsion

Dies betrifft hauptsächliche Ylide, welche selbst durch Carbonylgruppen stabilisiert werden; diese verändert nämlich nun die Anordnung im Übergangszustand: Erklärung der E-Selektivität mancher Ylide anhand der Akzeptor-Akzeptor-Repulsion Erklärung der E-Selektivität mancher Ylide anhand der Akzeptor-Akzeptor-Repulsion
Die beiden elektronegativen Sauerstoffe der Carbonyl-Gruppen stoßen sich aufgrund der Coloumb-Kräfte stark ab; dieser Effekt spielt im Übergangszustand eine wichtigere Rolle als die sterische Abstoßung zwischen dem Rest R und der Carbonyl-Funktion. Somit ändert sich die Kinetik und das E-Produkt wird selektiv gebildet.

2. Reversibilität der Inter­duktbildung

Dies betrifft zum Beispiel die sogenannten Horner-Ylide, wie bei der Horner-Wadsworth-Emmons-Reaktion:
Erklärung der E-Selektivität mancher Ylide anhand der Reversibilität der Oxaphosphetan-Bildung wie bei der HWE-Reaktion
Horner-Ylide sind durch die starke Delokalisation besonders stabilisiert, und sorgen dafür, dass die Bildung des cyclischen Interdukts nun reversibel ist. Wenn sich jetzt das Interdukt bildet, welches zum Z-Alken führt, profitiert man jetzt davon, dass die syn-Eliminierung sehr langsam verläuft (bedeutet hohe Aktivierungsenergie). Somit gibt es genug Zeit für das Intermediat um zurückzureagieren.
Die Moleküle, welche sich jedoch auf dem anderen Weg mit höherem sterischen Anspruch und höherer Aktivierungs­energie annähern und das untenstehende Intermediat bilden, reagieren daraufhin schnell zum E-Alken. Die Aktivierungsenergie ist hier niedriger als bei der Eliminierung zum Z-Alken. Das Intermediat hat also weniger Zeit um zurückzureagierem, weshalb somit insgesamt das E-Alken bevorzugt gebildet wird. Die Reaktion liegt nun unter thermodynamischer Kontrolle.
Warum passiert das nicht bei unstabilisierten Yliden?
Hierbei muss man an den Zusammenhang zwischen dem energetischen Unterschied zwischen Edukt & Produkt und der Gleichgewichts­lage einer Reaktion denken. Zuvor war das Ylid immer so reaktiv, also energetisch hochliegend, dass das Gleichgewicht des ersten Reaktionsschritts komplett auf Seiten des Produkts lag. Somit hat es dann keine Rolle mehr gespielt, wie langsam die Eliminierung danach stattfindet - einmal zum Intermediat reagiert, gab es kein zurück zum Edukt mehr.
Bei Horner-Yliden ist die Energie­differenz zum Inter­mediat nicht mehr so hoch, da das Ylid energetisch abgesenkt wurde. Die Rück­reaktion findet nun im bemerkbaren Ausmaß statt.

Auf einem Blick...


Z-Produkt


• Unstabilisierte Ylide
• Kinetische Kon­trolle
• Substi­tuen­ten stoßen sich im ÜZ ab
Beispiel für ein unstabilisertes Ylid

E-Produkt


• Stabi­lisierte Ylide
• Thermo­dyn­amische Kon­trolle
• Acc./Acc.-Repulsion und/ oder reversible Inter­dukt­bildung
HWE-Reaktion mit Horner-Yliden Beispiel für ein stabilisertes Ylid wie bei der HWE-Reaktion
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Referenzen

1. J.Clayden, N.Greeves, S.Warren, P.Wothers in Organic Chemistry, Vol. 8, Oxford University Press, Oxford, 2008.
2. P.Byrne, D.Gilheany, Chem. Soc. Rev.  201342, 6670-6696.

Wenn nicht anders angegeben, sind alle Abbildungen selbst angefertigt.

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Fragen

Prüfe Dich hier selber, ob Du diesen Artikel gut genug verstanden hast. Die Fragen werden zunehmend schwerer, jedoch solltest Du unbedingt ohne Spicken versuchen diese Fragen zu lösen - schaue Dir stattdessen ggf. die Lösungshilfe an.

Stufe 1
Formuliere diese Wittig-Reaktion, indem Du die jeweiligen Verbindungen in die Kästchen einzeichnest!
Leichteste Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion
Lösungsvorschlag Es wären prinzipiell auch andere (starke) Basen wie Natriumamid möglich.

Lösung zur einfachsten Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion
Stufe 2
Wie reagiert Zimtaldehyd mit diesem Ylid? Welchen Namen trägt diese Reaktion?
Wittig-Reaktion mit Zimtaldehyd als mittlere Übungsaufgabe
Lösungsvorschlag Es handelt sich hier um eine E-selektive Horner-Wadsworth-Emmons-Reaktion.

Lösung zur zweiten Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion
Und ja, Zimtaldehyd riecht tatsächlich nach Zimt.
Stufe 3
Formuliere diese Wittig-Reaktion, indem Du die jeweiligen Verbindungen in die Kästchen einzeichnest! Lege hier besonderes Augenmerk auf den Übergangszustand und übe Dich darin, ihn erkennbar zu zeichnen.
Dritte Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion.
Hilfe Überlege, was im Übergangszustand energetisch günstiger wäre: Zwei Carbonyl-Sauerstoffe nebeneinander oder eine Methyl-Gruppe und ein Phenyl-Rest nebeneinander?

Der Übergangszustand ist leichter zu zeichnen, wenn Du die Bindungen doppelt so lang wie sonst zeichnest, also insgesamt möglichst groß.
Lösungsvorschlag Bedenke die Akzeptor-Akzeptor-Repulsion durch die Carbonyl-Gruppen!

Lösung zur dritten Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion
Stufe 4
Formuliere die zweistufige Retrosynthese dieses Pheromonfragments, und bedenke, dass man von möglichst simplen Molekülen ausgehen will.
Retrosynthetische Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion
Hilfe Trenne die C3-C4-Doppelbindung (von rechts gezählt) zuerst.

Lösungsvorschlag
Die Aldehyd-Gruppe sorgt zum einen durch Akkzeptor-Akkzeptor-Repulsion für die E-Konfiguration der Doppelbidung bei C5 & C6, zum anderen als weiteren Ausgangspunkt für die Olefinierung mit einem unstabilisierten Ylid!
Lösung zur retrosynthetische Übungsaufgabe zur Wittig-Reaktion

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