Titelbild zum VSEPR-Modell Das VSEPR-Modell (Valence shell electron pair repulsion model) dient dazu, mit Hilfe von einfachen Prinzipien bestimmen zu können, welche geometrische Form einfache Moleküle besitzen. So lässt sich beispielsweise leicht ermitteln, dass bei dem Molekül Methan (CH4) eine tetraedrische Molekülstruktur vorliegt. Die Molekülstruktur wird bestimmt, indem man sich anschaut, welche geometrische Form die Reste um das Zentralatom aufspannen. Aufspannung eines Tetraeders Das VSEPR-Modell findet Anwendung bei kleinen Molekülen, welche ein zentrales Atom besitzen. An diesem zentralen Atom sind dann 2-8 andere Atome gebunden. Deshalb lässt sich das VSEPR-Modell für Moleküle wie H2O, NH3 oder CH4 (hier sind die Zentralatome O, N und C) anwenden, aber nicht für beispielsweise Essigsäure (CH3COOH). Bei Essigsäure liegt nämlich kein Zentralatom mit einatomigen Resten vor.

Es gibt drei einfache Regeln, welche man kennen muss, um die Molekülstruktur nach dem VSEPR-Modell zu bestimmen.
  1. Bindende und freie Elektronenpaare stoßen sich ab. Dies hat zur Folge, dass alle Reste des Zentralteilchens und dessen freie Elektronenpaare so weit wie möglich voneinander weg sein wollen. Elektronenpaare stoßen sich voneinander ab
  2. Freie Elektronenpaare nehmen mehr Platz ein als bindende Elektronenpaare. Freie Elektronenpaare stoßen die Reste nochmal ein kleines Stücken mehr ab. Das hat zur Folge, dass sich alle Winkel des Moleküls ein wenig verzerren. Der Winkel zwischen den freien Elektronenpaaren und den Resten erhöht sich, wohingegen sich der Winkel zwischen den Resten verkleinert. Freie Elektronenpaare nehmen mehr Platz ein
  3. Mehrfachbindungen werden wie Einfachbindungen behandelt. Um das Modell einfach zu halten, tut man bei Doppelbindungen so, als wäre es eine Einfachbindung. Doppelbindungen werden wie Einfachbindungen behandelt
Man unterscheidet nun zwei verschiedene Arten von Strukturen, welche sich mit dem VSEPR-Modell aus einem Molekül bestimmen lassen: Die Pseudostruktur und die Realstruktur.
Wir schauen uns beide im Detail an, der Unterschied ist aber leicht zu verstehen.

Bei der Pseudostruktur tut man so, als wären die freien Elektronenpaare ganz normale Reste, welche nicht mehr Platz einnehmen als die Atome um das Zentralteilchen herum. Das heißt, wir ignorieren Regel 2.
Bei der Realstruktur wird Regel 2 hingegen berücksichtigt. Hier beachten wir, dass freie Elektronenpaare mehr Platz benötigen als die Reste. Sie drücken die anderen Reste noch ein Stück weiter zusammen. Bei der Bestimmung der Molekülstruktur werden die freien Elektronenpaare aber weggedacht, wenn man die Form des Moleküls an den Resten aufspannt. Dazu aber gleich mehr.

Noch zwei Anmerkungen bevor es weitergeht:
  • Keile in der Strukturformel drücken aus, ob der gebundene Rest nach vorne oder nach hinten geht. Sie helfen uns dabei, die Strukturformel dreidimensional nachzuvollziehen. Keilstrichformel
  • Jedes Molekül im VSEPR-Modell gehört zu einem Molekültyp. Der Typ ist einfach eine kurze Notation um darzustellen, um was für eine Art von Molekül es sich handelt, ohne die konkreten Atome benennen zu müssen.
    Das Zentralatom wird immer A genannt. Die Reste werden mit X betitelt und die freien Elektronenpaare mit E. Das Molekül CH4 hat also den Typ AX4. Ammoniak hat die Summenformel NH3, aber noch ein freies Elektronenpaar. Folglich gehört es zum Typ AX3E. In der Abbildung findest Du noch ein paar weitere Beispiele. Hier wird auch hoffentlich nochmal klar, was die Pseudostruktur ist: Da wir so tun, als wären die freien Elektronenpaare E dasselbe wie die Reste X, besitzt der Typ AX3E dieselbe Pseudostruktur wie der Typ AX4, AX2E2 und AXE3.

Bestimmen der Pseudostruktur

Wir beginne mit der Pseudostruktur, da sie am einfachsten zu bestimmen ist. Wir gehen anhand des Beispiels H2O durch, wie man hier die Pseudostruktur Schritt für Schritt bestimmt.
Das Ziel ist es nun also herauszufinden, welche Struktur H2O im dreidimensionalen Raum aufspannt. Es könnte beispielweise eine tetraedrische, oder eine lineare Struktur sein. Bei der Pseudostruktur behandelt man alle Elektronenpaare wie Reste. Aus E wird also X bei dem Molekültyp.

Zuerst bestimmen wir den Molekültyp. Aus der Summenformel könnte man schließen, dass der Molekültyp AX2 ist. Wir wissen aber, dass der Sauerstoff noch zwei freie Elektronenpaare trägt. Also muss es sich um den Typ AX2E2 handeln. Bei schwierigeren Molekülen weiß man aber nicht immer aus dem Kopf, wie viele freie Elektronenpaare das Zentralteilchen besitzt. Deshalb würde ich immer das folgende Schema abarbeiten, um die Zahl an freien Elektronenpaaren zu ermitteln. Es ist eigentlich dasselbe, wie zur Bestimmung der Lewis-Formel.
  1. Zeichne das Zentralatom mit allen Valenzelektronen hin. Sauerstoff ist in der sechsten Hauptgruppe (=16. Gruppe) und besitzt folglich sechs Valenzelektronen. Sauerstoff mit Valenzelektronen
  2. Verteile jeweils ein Elektron an die Reste. Für jeden Rest X wird ein Elektron für die Einfachbindung zum Rest zur Verfügung gestellt. Lewis Formel Wasser
  3. Verbinde die übrig gebliebenen Elektronen zu freien Elektronenpaaren. Es bleiben bei H2O noch vier Elektronen am Sauerstoff übrig. Wir haben also zwei Elektronenpaare am Sauerstoff: Lewis Formel von Wasser mit freien Elektronenpaaren
Sollte Dein Molekül noch eine Ladung tragen, musst du noch ein Elektron hinzufügen bzw. wegnehmen, insofern die Ladung am Zentralteilchen liegt. Hast du also das Molekül XeF5, so kommt noch ein Elektron bei dem Zentralteilchen hinzu. Bei Kationen nimmst du noch ein Elektron vom Zentralteilchen weg. Beispiel mit Anion Wir wissen jetzt, dass H2O den Molekülytpen AX2E2 besitzt. Wir behandeln jetzt aber die freien Elektronenpaare wie Reste, weshalb wir nun so tun, als würde es den Typen AX4 besitzen. Das entspricht einem Molekül, bei welchem das Zentralteilchen vier gleichwertige Reste trägt. Um vier Reste gleichmäßig, also mit maximalem Abstand zueinander, im Raum zu verteilen, muss man sie wie in einem Tetraeder anordnen. Pseudostruktur von Wasser Deshalb besitzt Wasser die Pseudostruktur tetraedrisch! Das Unschöne an der Sache ist allerdings: Woher soll man das denn wissen, wenn man die möglichen Molekülstrukturen nicht kennt? Wenn man nicht weiß, dass eine tetraedrische Molekülstruktur dafür sorgt, dass die vier Reste den größtmöglichen Abstand zueinander besitzen, kann man die Molekülstruktur auch nicht aus dem Molekültyp bestimmen.

Hier hilft leider nur Lernen. Es geht am schnellsten, wenn Du die möglichen Strukturen auswendig lernst. Einfach, damit Du sie kennst und mit ihnen arbeiten kannst. Und dann heißt es: üben, üben, üben.

Im Folgenden findest du eine Tabelle mit allen Pseudostrukturen, die du kennen musst.

Molekültyp Beispiel Pseudostruktur
AX H2 Lineare Pseudostruktur Linear
AX2 CO2 Lineare PseudostrukturLinear
AX3 BF3 Trigonal planare PseudostrukturTrigonal Planar
AX4 CH4 Tetraedrische PseudostrukturTetraeder
AX5 PCl5 Trigonal bipyramidale PseudostrukturTrigonal Bipyramidal
AX6 SF6 Oktaedrische PseudostrukturOktaedrisch
AX7 IF7 Pentagonal bipyramidale PseudostrukturPentagonal bipyramidal
AX8 IF8 Tetragonal antiprismatische PseudostrukturTetragonal antiprismatisch


Bei manchen Strukturen lässt sich ein Muster erkennen: Wenn die Struktur sich aus zwei Wörtern zusammensetzt, beschreibt das erste Wort die Grundfläche und das andere Wort die Gesamterscheinung der Struktur. Für AX5 gilt also: Die Grundfläche besitzt drei Ecken und ist somit trigonal. Da die gesamte Struktur aussieht, als wären zwei Pyramiden aneinandergeklebt an der Grundfläche, ist sie bipyramidal. Zusammen haben wir also eine trigonal bipyramidale Struktur.

  1. Das Zentralatom besitzt zwei freie Elektronenpaare. Xe hat acht Valenzelektronen: Minus vier Elektronen für die vier Reste ergibt zwei freie Elektronenpaare, die übrig bleiben. Beispiel XeF4
  2. Molekültyp AX4E2. Wird bei der Pseudostruktur behandelt wie der Typ AX6.
  3. Oktaedrische Pseudostruktur. Da sechs Reste (X = 6) vorliegen, muss es sich um eine oktaedrische Pseudostruktur handeln. Beispiel XeF4 mit Oktaeder

Bestimmen der Realstruktur

Jetzt wird es leider ein wenig komplizierter. Bei der Realstruktur berücksichtigen wir den erhöhten Platzbedarf der freien Elektronenpaare und müssen uns diese danach wegdenken, wenn wir die Molekülstruktur berücksichtigen wollen.
Es gibt den einfachen Fall, dass das untersuchte Molekül gar keine freien Elektronenpaare besitzt. In diesem Fall ist die Realstruktur gleich der Pseudostruktur und du kannst dich der oberen Tabelle bedienen.
In jedem anderen Fall beginnen wir aber wieder damit, den Molekültyp zu bestimmen. Wir nehmen als Beispiel Ammoniak mit der Summenformel NH3.

Ammoniak hat ein freies Elektronenpaar und gehört somit zum Typ AX3E. Die Pseudostruktur wäre tetraedrisch. Die Realstruktur ist aber nicht tetraedrisch, da die oberste Spitze des Tetraeders das Elektronenpaar ist, welches wir uns für die Struktur nun wegdenken. Außerdem werden die drei Reste unten nun ein wenig nach unten gedrückt. Daraus ergibt sich keine tetraedrische, sondern eine trigonal pyramidale Struktur. Da das Zentralteilchen sich nicht mehr in der Mitte des Polyeders befindet, muss es nun berücksichtigt werden, wenn wir die Form aufspannen. Realstruktur von Ammoniak Als zweites Beispiel besprechen wir XeF4. Xe hat acht Valenzelektronen und es bleiben noch zwei freie Elektronenpaare übrig, da vier Elektronen für die Bindung zu den vier Resten wegfallen. Wir haben also den Typ AX4E2. Es liegt eine oktaedrische Pseudostruktur vor. Pseudostruktur von XeF4 Ich würde dir immer raten, dir erstmal die Pseudostruktur zu visualisieren und von da aus dann die freien Elektronenpaare zu berücksichtigen.
Wir fügen jetzt der Reihe nach die freien Elektronenpaare ein. Das erste packen wir an die obere Spitze. Das zweite freie Elektronenpaar möchte möglichst weit von dem anderen freien Elektronenpaar entfernt sein, da sie beide viel Platz benötigen. Deshalb kommt es genau auf die gegenüberliegende Seite. Realstruktur von XeF4 Normalerweise müssen wir zum Visualisieren auch immer berücksichtigen, dass durch die freien Elektronenpaare die anderen Reste ein wenig weggedrückt werden. Da in diesem Fall die Reste von oben und unten gleichermaßen gedrückt werden, bleiben aber alle Reste auf einer Ebene.
Den Namen dieser Realstruktur kann man sich herleiten, wie bei der Pseudostruktur bereits beschrieben. Die freien Elektronenpaare denken wir uns nun weg. Was bleibt ist eine viereckige Grundfläche. Die Grundfläche ist also quadratisch. Die ganze Struktur sieht flach aus. Sie ist also planar. Folglich ist die Realstruktur von XeF4 quadratisch planar!

In der folgenden Tabelle findest du alle Realstrukturen. Auch sie solltest du die meisten idealerweise mit Karteikarten lernen und dann üben. Du wirst aber schnell ein Muster in der Benennung erkennen.
Molekültyp Beispiel Pseudostruktur Realstruktur
AXE CO Lineare PseudostrukturLinear Lineare RealstrukturLinear
AX2E SO2 Trigonal planare PseudostrukturTrigonal planar Gewinkelte RealstrukturGewinkelt
AX2E2 H2O Tetraeder PseudostrukturTetraedrisch Gewinkelte RealstrukturGewinkelt
AX3E NH3 Tetraeder PseudostrukturTetraedrisch Trigonal pyramidale RealstrukturTrigonal pyramidal
AX4E SF4 Trigonal bipyramidale PseudostrukturTrigonal bipyramidal Bisphenoidale RealstrukturWippe/ Bisphenoidal
AX3E2 ClF3 Trigonal bipyramidale PseudostrukturTrigonal bipyramidal T-förmige RealstrukturT-förmig
AX2E3 XeF2 Trigonal bipyramidale PseudostrukturTrigonal bipyramidal Lineare RealstrukturLinear
AX5E ClF5 Oktaedrische PseudostrukturOktaedrisch Quadratisch pyramidale RealstrukturQuadratisch pyramidal
AX4E2 XeF4 Oktaedrische PseudostrukturOktaedrisch Quadratisch planare RealstrukturQuadratisch planar
AX6E XeOF5 Pentagonal bipyramidale PseudostrukturPentagonal bipyramidal Pentagonal pyramidale RealstrukturPentagonal pyramidal
AX5E2 XeF5 Pentagonal bipyramidale PseudostrukturPentagonal bipyramidal Pentagonal planare RealstrukturPentagonal planar

Auf einem Blick...


Das VSEPR-Modell


  • Mit dem VSEPR-Modell beschreibt man die räumliche Gestalt kleiner Moleküle
  • Alle Reste im Molekül ordnen sich so an, dass sie den maximalen Abstand zu anderen Resten haben
  • Freie Elektronenpaare nehmen mehr Platz ein, als die Reste bzw. die bindenden Elektronenpaare
  • Bei der Pseudostruktur werden die freien EP wie normale Reste behandelt
  • Bei der Realstruktur wird der erhöhte Platzbedarf der freien EP berücksichtigt und die freien EP werden beim Bestimmen der Molekülstruktur dann weggedacht
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Referenzen

1. E. Riedel, C. Janiak, in Anorganische Chemie, Vol. 8, Walter de Gruyter GmBH, Berlin, 2011.

Wenn nicht anders angegeben, sind alle Abbildungen selbst angefertigt und urheberrechtlich geschützt.

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Fragen

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Stufe 1 Welche Pseudostruktur besitzt Ammoniak (NH3)?
Lösung Da Stickstoff über fünf Valenzelektronen verfügt, besitzt es im Ammoniak noch ein freies Elektronenpaar und damit den Typ AX3E. Da bei der Pseudostruktur das Elektronenpaar als Rest angesehen wird, behandeln wir es als den Typ AX4. Folglich besitzt Ammoniak eine tetraedrische Pseudostruktur.
Tetraedrische Pseudostruktur
Stufe 2 Welche Pseudo- und Realstruktur besitzt XeF4
Lösungsvorschlag Xenon besitzt 8 Valenzelektronen (Elektronen aus den d-Orbitalen werden ignoriert). Vier Elektronen davon werden für die Bindungen benötigt. Die vier übrigen Elektronen bilden zwei Elektronenpaare. XeF4 besitzt also den Molekültyp AX4E2. Die Pseudostruktur ist also oktaedrisch. Für die Realstruktur werden zwei Reste durch Elektronenpaare ersetzt. Es ergibt am meisten Sinn, die beiden Spitzen zu "entfernen". Übrig bleibt eine quadratisch planare Realstruktur.
Quadratisch planare Realstruktur
Stufe 3 Welche Real- und Pseudostruktur besitzt SF4
Lösung Schwefel besitzt 6 Valenzelektronen. Mit vier Bindungen bleibt ein Elektronenpaar übrig. Der Molekültyp ist somit AX4E. Die Pseudostruktur ist also trigonal bipyramidal. Für die Realstruktur berücksichtigen wir das freie Elektronenpaar. Dieses drückt die anderen vier Reste runter, woraus eine Wippen Realstruktur resultiert.
Bisphenoidale Realstruktur